Stosslüften in Allenlüften

Dass in Klassenzimmern oft dicke Luft herrscht, wissen wir nicht erst seit Corona. Doch jetzt wird gemessen. Das heisst, der K-Tipp misst in geheimer Mission. Ob Schulen das auch regelmässig tun, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich fürchte, eher nein, wie der Artikel im K-Tipp vom 9. Februar 2022 mit dem Titel „Dicke Luft: Gut für Viren, schlecht fürs Lernen“ vermuten lässt. Worum geht es.

Experten, die bereits vor einigen Monaten auf den Plan getreten sind, melden, dass an vielen Schweizer Schulen schlechte Luft dafür sorge, dass sich Viren schneller verbreiten und die Konzentrationsfähigkeit der Schüler:innen leide. Die Not bringt’s an den Tag: Schlechte Luft, hohe Virenlast und, wen wundert’s, zunehmende Mühe mit der Konzentrationsfähigkeit. Das wohl nicht erst seit Corona.

Geheime Messmission

An zehn Schulen wurde also gemessen. Schüler:innen platzierten jeweils einen Tag lang CO2-Messgeräte in Klassenzimmern, in denen sie unterrichtet wurden. Man wollte die Alltagsrealität abbilden. Die Schulen wurden nicht informiert. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfiehlt einen Schwellenwert, der nicht überschritten werden sollte. Ansonsten steigt das Risiko für die oben aufgeführten Gefahren und Einschränkungen. Die Ergebnisse sind nicht überraschend. An neun von zehn Schulen wurden die Werte oft schon nach wenigen Minuten überschritten und stiegen zum Teil auf das Doppelte des Zumutbaren an. Auch wenn sich Lehrer:innen an den empfohlenen Stosslüft-Takt hielten. Was tun? Bei schlechten Werten würden Massnahmen ergriffen, hiess es von Schulleitungen und Behörden: Noch konsequenter lüften! Na gut.

Mehr vom Gleichen

Eine beliebte Methode, wenn der Ursache nicht wirklich auf den Grund gegangen werden soll: Tue mehr vom Gleichen. Und wenn es nicht besser wird? Tue noch mehr vom Gleichen. Andere Beispiele, gerade in Schulen: Fehlende Disziplin? Schraube noch mehr anziehen! Ungenügende Noten? Noch mehr Druck aufsetzen! Ineffizienter Arbeits- oder Lernstil? Freiräume noch mehr einschränken! Lernunlust? Druck erhöhen!

Doch wieder zurück zu den Lufthygieniker:innen. Sie empfehlen, in jedem Klassenzimmer regelmässig zu messen, denn der Wert könne schnell den Schwellenwert überschreiten. Okay. Und dann? Es sei halt ein räumliches Problem, zu dichte Belegung und zu kleine Fenster. Grössere Fenster also? Smile.

Und ich denke: Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Vor allem, wenn ich noch lese, was der K-Tipp in einem kleinen Kästchen Eltern empfiehlt. Sie sollten Lehrer:innen und Schulleitung auffordern, Luftfilter und Messgeräte zu beschaffen. Alles preiswert oder sogar gratis zu haben. Und wenn ein Zimmer offenbar schlecht belüftbar sei (wie neun von zehn im Versuch), sollten Klassen verkleinert werden. Ach so! Also nicht noch mehr Kinder in den gut 60 m2 grossen Raum rein quetschen. Aber warum werden dann Klassen in den letzten Jahren nur noch grösser? 26 Schüler:innen sind offenbar schon bald wieder Normgrösse. Das heisst knapp 2.5 m2 pro Kind. Und Lehrperson, Mobiliar und Verkehrswege brauchen auch noch Platz. Das wird knapp. Immerhin. Schüler:innen geht es doch noch etwas besser als Mastschweinen: Sie haben nach Tierschutzverordnung etwa einen Quadratmeter, Kälber jedoch schon bis zu drei. Und Schüler:innen? Gemäss Verordnungen wird ihnen etwa 2 m2 Fläche und 6 m3 Luftraum zugestanden. Wie die Messungen während der Pandemie nun eindeutig zeigen: Zu wenig, viel zu wenig. Was wird daraus gelernt? Hmm, Lernfähigkeit ist nicht gerade das, was das System Schule und die Politik auszeichnet.

Dichtestress macht dicke Luft

Fest steht: Der Dichtestress im Klassenzimmer macht dicke Luft. Zu wenig Sauerstoff, zu wenig Platz, zu enge Verhältnisse. Wie können wir allgemein ein Lernklima schaffen, in dem alle konzentriert und ohne latenten Sauerstoffmangel lernen können? Wie wäre es, wenn nur schon mal die Schulzimmertüren offen blieben (bessere Luftzirkulation), Vorräume, Eingangshallen, Mediatheken, Pausenhallen, Mehrzweckräume, Werkstätten zu multifunktionalen Lernräumen umgewandelt und stets zugänglich gemacht würden und hybride Formen des Lernens weitergeführt würden, so dass nicht alle Schüler:innen zur gleichen Zeit, am gleichen Ort unterrichtet werden müssten. Gelebte Individualisierung also!

Tja, und dann müsste endlich Schluss sein mit den immer gleichen Bunker-Schulhausbauten mit Pultreihen in Klassenzellen für einen traditionellen Lektionenbetrieb. Es braucht Lernlandschaften in offenen luft- und lichtdurchfluteten Räumen, auch Aussenräumen. Ausgerichtet auf Austausch, Lernnischen, Bewegung und Multifunktionalität. Lernorte wären an verschiedensten Orten im Quartier zu finden. Dort, wo das Leben spielt und die Luft auch ohne Messgerät und Luftfilter unbedenklich und geniessbar ist.  

Eine Vision? Nein, ein Luftschloss mit Handlungsauftrag.

Allenlüften war nicht Teil des Versuchs. Stosslüften wird wohl auch hier an der Tagesordnung sein. Wenn ich mir auch vorstelle, dass gesunde Luft hier weniger Mangelware sein dürfte.