Geschwätz von gestern

Ich bin Newsfreak. Immer noch. Mit und wahrscheinlich auch noch nach Corona. Wer weiss schon.

Doch vor ein paar Tagen habe auch ich das Echo der Zeit, sonst einer meiner Lieblinge, nur noch mit-gehört, en passant, vorher schon die Zeitung weggelegt. Den Newsletter von Zeitpunkt und Republik? Keine Lust mehr. Markus Lanz bei den zweiten Deutschen und der Club im eidgenössischen Fernsehen - Gerangel um Deutungshoheit und Zukunftshypothesen. Die Posts auf Facebook und Instagram werden weniger. Die Welt der Podcasts hat sich geöffnet. Angebote überschlagen sich. Kritische Stimmen, Aufrufe von Demokratiebewahrern vermischen sich mit wirren Verschwörungsmythen.

Spannende Gespräche, verwinkelte Ansichten, sprudelnde Ideen, charmanter und bissiger Humor? Ab und zu. Wacklige Statements, quotengierende Hin-und-Her-Palaver, Effekt- und Zahlenhascherei - immer öfter.

„Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“, soll der deutsche Altkanzler Konrad Adenauer mal gesagt haben. Virologen und Epidemiologen äussern sich mal so, mal so. Die Politiker machen daraus mal dies, mal das, interpretieren Wissenschaftliches gemäss ihrer politischen Agenda. Die Regierung erfüllt ihren Job und regiert. Doch braucht es all diese einschränkenden Massnahmen wirklich? Muss ich mir meine Freiheit derart beschneiden lassen? Was kann ich noch glauben? Wie informiere und orientiere ich mich?

Auch Wissenschaft und Politik tappen im Dunkeln, sind nicht transparent, eiern herum oder rudern gar zurück. Die Verunsicherung wächst.

Die Gesundheit der Menschen kommt vor dem Funktionieren der Wirtschaft. Heisst es. Am Anfang. Jetzt kommt das Ausbalancieren. Aus Einsicht? Unter Druck? Bald wird es wieder andersrum sein. Noch sind die systemrelevant, die unterbezahlt und überarbeitet alles tun, damit das System nicht kollabiert. Bald wird auch das wieder anders sein, der Applaus verhallt und die Probleme werden die alten sein. Oder sind wir lernfähig?

Auch wenn ich ab und zu von den Einschränkungen und der ganzen Debatte genug habe, etwas Faszinierendes hat diese Krise schon. Wir sind gefordert, die nicht ausgestandene Gefahr weiterhin ernst zu nehmen und doch kreativ anzufangen, eine Art neuen Alltag zu entwickeln. Alte Gewohnheiten müssen geändert werden. Neues kann ausprobiert werden.

Jedes Wirken hat wieder Auswirkungen, jedem gemachten Schritt folgen weitere in unsicherem Gelände. Tatsächlich eine Chance?

Es ist schon gigantisch! Fast nichts hat nicht mit Corona zu tun. Und die Auswirkungen sind wie Domino. Domino mit vielen Verzweigungen, Unter- und Überführungen.

Wir kennen Nahrungsketten. Abhängigkeiten. Profitiert haben wir bis vor kurzem von monströsen Wirtschaftsketten. Verbindungen, die im Sinn von Produktions- und Konsumketten zu einem globalen marktwirtschaftlichen Strickmuster wurden. Verflochten, unübersichtlich, und, wir haben es nun gemerkt, gefährlich abhängig machend. Schaffen wir ein neues Mit- und Füreinander?

Und es meldet sich das Abwägen, das Zweifeln: Was macht das alles mit mir? Was hat das alles mit mir zu tun? Wo führt das noch hin?

Übrigens soll auch der erwähnte Adenauer nicht ganz richtig zitiert worden sein. Ein Teil seiner Aussage ist offenbar untergegangen, vergessen, weggelassen worden. „Nichts hindert mich daran, klüger zu werden“, soll der zweite Teil des angeführten Satzes sein. Angeblich.