Die Affäre Lauber

Schlagzeile im Blick online am 30.7.2020
Schlagzeile im Blick online am 30.7.2020

Es scheint auch mir höchst unwahrscheinlich. Da treffen sich vier Männer, alle in verantwortungsvoller Stellung, in einem namhaften Hotel in Bern. Sie tauschen sich aus. Worum es geht? Man weiss es bis heute nicht genau. Denn sie haben es vergessen. Alle. Urplötzlich. Ja, sie können sich nicht mal mehr daran er­innern, sich überhaupt getroffen zu haben. Alle.

Nein, es geht hier nicht um ein Geheimtreffen eines Mafia-Clans, auch nicht um einen Herrenabend, der wohl etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Hier treffen sich zum wiederholten Mal Michael Lauber und Gianni Infantino. Der eine ist der höchste Anwalt der Schweiz, der andere Präsident der Fifa, dem Weltfussballverband. Mit dabei sind der Medienchef der Bundesanwaltschaft und ein mit Infantino befreundeter Staatsanwalt aus dem Wallis.

Warum man das weiss? Es fanden Befragungen und Untersuchungen statt. Die Männer wurden gesehen, erkannt und die Quittung der Konsumation ist Zeugnis davon, dass da sogar noch eine weitere Person dabei war. Wer denn? Vergessen, eben. Alles. Alle. 

Sorglos oder dreist?

Und warum soll das jetzt alles so relevant, ja sogar brisant sein? Plötzlicher kollektiver Gedächtnisverlust, PKGV, halt (sorry, keine gesicherte Diagnose). Sei gerade in hohen Manager- und Beamtenzirkeln recht weit verbreitet. Was soll’s? Schwamm drüber. Wer erinnert sich denn an jedes informelle Treffen? 

Doch immerhin geht es hier um ein hängiges Strafverfahren vor Bundesgericht. Und dieses Treffen ist nicht das einzige inoffizielle Meeting dieser beiden Herren. Ohne Protokoll, ohne Wissen der involvierten Kreise. Den Medien gesteckt hat das die Whistleblower-Plattform Football-Leaks. Es wurden Mails gehackt, die Unschönes ans Licht brachten. 

Die Bundes­anwaltschaft untersuchte nämlich präzise in dieser Zeit Machenschaften der Fifa und ermittelte wegen Veruntreuung und Betrug. Dabei gings es um Millionenbeträge. Untersucht wurden Mauscheleien und Korruption im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2006 an Deutschland und unrechtmässige Bereicherung. Auch Kaiser Franz Beckenbauer (die Lichtgestalt des deutschen Fussballs) stand unter Anklage. 

Der erwähnte Walliser Staatsanwalt soll seinem Freund Infantino ob dem drohenden Ungemach versprochen haben, bei der Bundesanwaltschaft zu intervenieren. 

Die Dinge nehmen ihren Lauf - unheilvoll

Und jetzt verfing sich Bundesanwalt Lauber in seinem eigenen Lügengestrüpp. Ein Mann, der vorher anscheinend tadellose Arbeit geleistet hatte. Er, der Mann des Rechts, musste zugeben, dass er den Fifa-Boss, ohne Ergebnisse zu protokollieren, im Laufe einer ihn betreffenden Untersuchung, getroffen hatte. Das alles liege in seinem Ermessen, meinte er. Jede Bagatelle wolle er nicht protokollieren. Als eloquenter und äusserst selbstsicherer Mensch trieb er seine Ausführungen vor den Medien schliesslich so weit, dass er dummerweise Dinge Preis gab, mit denen man ihm später den Strick drehte.

Und das alles rief nun die Politik auf den Plan. Hatte die Kommission, die die Bundesanwaltschaft beaufsichtigt, nur darauf gewartet, einen guten Grund zu haben, dem unantastbar scheinenden und offenbar recht eigenmächtigen Lauber tüchtig auf die Finger zu klopfen? Es begann ein politisches Seilziehen im Bundeshaus zu Bern. 

Lauber kam aus seinen Unwahrheiten nicht mehr raus. Doch die Parlamentarier aus ihrem WischiWaschi auch nicht. So wurde Lauber im Herbst 2019, trotz offenkundiger Verfehlungen, von einer Mehrheit des Parlaments im Amt bestätigt. Aber der Konflikt um Laubers Amtsführung eskalierte. Bald ging es um weit mehr als um die Treffen mit Fifa-Chef Gianni Infantino. Es ging darum, wem der Bundesanwalt wie viel Rechenschaft abzulegen hat. Also letztlich um die Frage: Wieviel Macht hat der Bundesanwalt?

Es folgt ein offener Schlagabtausch hinter verschlossenen Türen. Gegenseitige Beschuldigungen werden durch Indiskretionen von Parlamentariern publik. Im März 2020 tritt Lauber als Bundesanwalt zurück.

Seit da versucht die Politik, das Amt neu zu besetzen. Gelungen ist es noch nicht. Die Wurstelei geht weiter. Die Parlamentarier in Bern täten wohl gut daran, mal zu prüfen und zu definieren, wie weit die politische Aufsicht über die Bundesjustiz gehen soll und wie autonom die Bundesanwaltschaft soll agieren können. Der Kompromiss ist noch nicht gefunden. Als ob das für uns Eidgenossen so schwierig wäre…

“Hochmut kommt vor dem Fall“

Die ganze Story ist vor gut einem Jahr, wenn auch nicht in allen Details, durch die Medien gegangen. Sie mutet einerseits an wie ein Krimi, andererseits auch wie eine Schweizer Justiz- und Polit-Posse. Für mich ist es auch ein Lehr- oder Lernstück, wie sich ein Leader der höchsten Justiz, selbstgerecht und mit einer gewissen Arroganz, richtiggehend in die Scheisse reitet, weil er offenbar den Bezug zur Realität verloren hat. Er fühlt sich unantastbar und legt sich, vielleicht nicht ganz zu Unrecht, mit der politischen Aufsichtsbehörde an. Eine gute Prise Überheblichkeit mag dem Erklimmen der Karriereleiter dienen, sei das nun bei Professoren, Chefärzten, Managern oder eben Chefbeamten. Doch sie vernebelt den Blick und beschert einem eher Feinde als Freunde.

Ich höre mir in letzter Zeit viele Podcasts an. Oft auch bei meinen Wanderungen durch Feld und Wald. Diese Geschichte, recherchiert von Journalisten von SRF, ist eine Hotspot-Folge und erschien im Dezember 2020.

Hotspot-Folge

Wegen der beschriebenen Ränkespiele und aufgrund von öffentlichen Aussagen, die Bundesanwalt Lauber im Laufe der Affäre gemacht hatte, musste die angestrebte Anklage im Prozess vor dem Bundesstrafgericht gegen Leute, die sich im Rahmen von Fifa-Projekten unrechtmässig bereichert hatten, zuerst vertagt und dann wegen Verjährung fallen gelassen werden. Eine weitere, ziemlich teure Posse.

Ein ausserordentlicher Staatsanwalt soll die Geschehnisse nun aufarbeiten und Licht ins Dunkel bringen. Es geht vor allem um Amtspflichtverletzung. Strafrechtlich verfolgt sollen auch Gianni Infantino und der Walliser Staatsanwalt werden. Die Immunität von Lauber erlischt Ende Januar 2021. Also gerade jetzt. Ich bin gespannt, ob der Sache nun wirklich auf den Grund gegangen wird oder ob der Berg einfach eine weitere Maus gebären wird.