Colearning reloaded

„Was hundert Jahre funktioniert hat, kann ja nicht falsch sein.“

Ich gehe mal davon aus, dieser Spruch entstammt dem Volksmund. Ich stimme ein. Es muss tatsächlich nicht falsch gewesen sein. Doch ist es heute noch das Richtige?
Wir leben in einer Zeit, in der sich Dinge rasch verändern. Wenn ich nicht bereit bin, Veränderungen auch als Chance zur Weiterentwicklung zu sehen, werde ich eher früher als später den Anschluss verlieren. Veränderung kann von aussen auf mich einwirken und Druck auf mich ausüben. Überprüfe und hinterfrage ich jedoch laufend mein Handeln, kann ich Erkenntnisse gewinnen, die Anreiz sein können zum regelmässigen Dazulernen.

Unser Colearning-Projekt im Effinger ist noch nicht hundert jährig und funktioniert hat längst nicht alles. Zum Glück! Wir haben also eine gute Ausgangslage, uns und unser Tun immer wieder in Frage zu stellen. Das haben wir getan. Und Anpassungen vorgenommen. Es war uns wichtig, einen Lernort entstehen zu lassen, wo Jugendliche mitten in der Gesellschaft, eingebettet in die Arbeitswelt eines Coworking Spaces, ihre Lernwelt entdecken und erkunden können. Doch haben wir das Lernen auch radikal genug gelebt? Ist es gelungen, einen Raum und Anreize zu schaffen, damit sich Lernen in zunehmender Selbstverantwortung, selbstmotiviert und auf eigene Fragen und Ziele ausgerichtet, entwickeln kann?

„Wenn man alle Fehler einer Kutsche beseitigt, erhält man möglicherweise eine perfekte Kutsche, aber wahrscheinlich nicht das erste Automobil.“

Edward de Bono, Kreativitätsforscher und Kognitionswissenschaftler

Ich denke, wir haben uns Mühe gegeben und vieles war auch wirklich gut gemeint. Doch wir wissen ja, was gut gemeint auch bedeuten kann. Leider. Wir erlebten schöne Momente, hörten von berührenden Lernerfahrungen, sahen den einen oder anderen Kontakt zwischen Arbeitswelt und Lernwelt. Bekamen das eine oder andere Lernergebnis zu Gesicht. Wir freuten uns, wenn die jungen Colearner (ausschliesslich Homeschooler) gerne in den Effinger kamen. Oft auch - und vor allem - um soziale Kontakte zu ihren Peers zu haben. Noch zu selten, um mit unserer Unterstützung an Themen heran zu gehen und selbstgesteuert zu lernen. Das Atelier, ein werkstattähnlicher Raum im Effinger, als homebase gedacht, wurde zu einer Art Schulzimmer. Lernmoderatorinnen, die sich interessiert hatten, Jugendliche in ihrem Lernen zu begleiten, sahen sich plötzlich in der Rolle der Animatorin und Aufsichtsperson. Interessen von Coworkern und Colearnern kollidierten. Die geplante Mitverantwortung und Mitbestimmung der Jugendlichen blieb bis heute eine eher zarte Pflanze.

Wir hatten Erwartungen und wollten doch aufnehmen, was sich entwickelt. Ein Experiment mit vielen Unbekannten. Wir waren gefordert. Es entwickelten sich Angebote und Projekte, aus Eigeninitiative und mit grossem Engagement, oft ausserhalb des Effingers. oft auf Initiative von Lernmoderator*innen oder Eltern. Als wir dann kurz vor Corona anfingen, die Halbtage im Effinger zu reduzieren und etwas zu strukturieren, einen Projekttag ausserhalb für die ganze Gruppe einrichteten und mit Mentorings das Beziehungsgeflecht stabilisierten, entwickelte sich ein Angebot, das auch mit etwas weniger organisatorischem Aufwand funktionierte.

Und ich denke, auch in der Zeit von Corona und jetzt, gleich danach, haben wir durch ein paar Anpassungen Elemente des Colearnings gestärkt, die uns sehr wichtig geworden sind.

Doch - wie soll es Im Sommer weitergehen? Die Kutsche ist gebaut. Ausruhen und Rundfahrt geniessen? Kaum. Die Gruppe der Mitwirkenden verändert sich, die Voraussetzungen im Effinger haben sich mit Corona verändert, die Colearner und ihre Ziele und Bedürfnisse verändern sich.

„Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.“

Henry Ford

Eine Gruppe von Interessierten wird sich in den nächsten Tagen treffen, um die mögliche Fortsetzung zu diskutieren und zu konkretisieren.

Corona hat Schule, Unterricht, Lernen neu beleuchtet. Auch in der Arbeitswelt scheint die Erkenntnis zu wachsen, dass neue Formen des Arbeitens eng verschränkt sind mit Lernen und mit neuen Formen des Lernens. Situatives, agiles, bedürfnisorientiertes Lernen wird zum integralen Bestandteil von Arbeit, Learning on the job die neue Art von Weiterbildung.

Edison’s electric lights did not come about from the continious improvement of the candles.

Yuval Harari

Sichern wir uns die wertvollen Erkenntnisse und die prägenden Erfahrungen des letzten Jahres und bringen wir sie neu in die Ausrichtung, dass wir nicht mehr versuchen, schulisches Lernen zu optimieren, sondern einen Lernraum zu schaffen, wo sich Menschen mit der Welt des Agilen Arbeitens und Lernens verbinden können.

Suchen wir nach Wegen, in den Räumen des Effingers selbstverantwortetes und selbstgesteuertes Lernen für Menschen jeden Alters möglich zu machen.

Das könnte bedeuten: Colearner nutzen den Effinger wie Coworker. Ein Mentoring schafft Beziehung und Chance zum Lernaustausch. Erfahrene Colearner sind Mentoren, noch unerfahrene können es noch werden. Der Effinger ist Knotenpunkt und Marktplatz für Lernideen und gemachte Erfahrungen.

Das heisst im Weiteren: Das Colearning funktioniert nur, wenn Colearner neben dem Empfangen von Unterstützung auch bereit sind, anderen in irgendeiner Form auch wieder etwas zu geben und Erfahrungen zu teilen.

Ein regelmässig stattfindendes Schatzhebungstreffen bietet die Möglichkeit, Lernen sichtbar zu machen und die Balance von Geben, Empfangen und Teilen zu besprechen.

Ist mir bewusst, klingt schon fast utopisch. Ein System, das sich selber füttert… Doch, warum nicht? Ausprobieren geht über studieren, heisst es so schön. Und meint sicher auch, dass man immer mal wieder auch scheitern darf - und dazu lernen!

„Besorgt mir Ingenieure, die noch nicht gelernt haben, was nicht geht!“

Henry Ford