Effianer im Unruhestand

Ich bin auf dem Weg in den Effinger. Für heute ist ein Community-Treffen angesagt. Monatlich treffen sich die Effianer:innen, um miteinander Entscheidungen zu fällen, Infos zu teilen und Aktivitäten zu bestimmten Themen- oder Fragestellungen durchzuführen.

Der Effinger als Coworking Space und seine Community sind soziokratisch organisiert. Wir sind selbstorganisiert und gehören uns selber. Entscheide treffen die Leute, die betroffen sind. Gemeinsam verantworten wir die Geschicke des Unternehmens und übernehmen persönlich Rollen und Aufgaben in Eigenverantwortung. 

Es ist Mittagspause. Mein “Arbeitstag” beginnt erst jetzt. Ich bin freischaffend, ausgestattet mit einem altersbedingten Grundeinkommen. Anwesend ist, wer es einrichten kann. Für unser Treffen sind zwei Stunden reserviert. So sind wir als Gruppe gefordert, die anstehenden Traktanden effizient zu bearbeiten. Dies ist möglich, weil alle Eingaben bereits im Protokoll ausführlich beschrieben sind und darum im Voraus studiert werden können. Wir fungieren als eine Art Geschäftsleitung. Die im Treffen gefassten Beschlüsse haben letztinstanzlich Gültigkeit. Wer Einwände hat und mit der geplanten Veränderung oder Entwicklung nicht einverstanden ist, muss seine Beweggründe am Treffen mit entsprechenden Argumenten einbringen. Können die Einwände entkräftet oder in die Lösung integriert werden, steht der Umsetzung nichts im Weg. Ist dem nicht so, wird die Entscheidung vertagt und der Einwandgebende hilft mit, eine passendere Lösung zu finden. Wir gestalten unsere Treffen nach der soziokratischen Moderationsmethode, suchen gemeinsam nach Wegen und geben allen die Chance, gehört zu werden. Es entwickelt sich ein gemeinschaftlicher partizipativer Organisationsstil.  

Spannend sind heute vor allem auch die Neuaufnahmen. Gleich drei Colearner von Colearning Bern möchten neu zu den Effianer:innen dazu stossen. Allesamt  junge Leute, die aktiv mithelfen und sich einbringen wollen. Und speziell erwähnenswert: Zwei Jugendliche sind noch schulpflichtig, Homeschooler, arbeiten und lernen an unterschiedlichen Halbtagen im Effinger und verkörpern sinnbildlich das Anliegen von Colearning.org, die Lern- und die Arbeitswelt miteinander zu verbinden. 

Im zweiten Teil des Treffens begebe ich mich in eine Gruppe, die sich Gedanken macht um eine optimierte Auslastung unserer Räume (Coworking, Vermietungen, unterschiedliche Nutzungen) und um mögliche Anpassungen. Auch hier liegen bereits eingebrachte Vorschläge auf dem Tisch, die auch von heute nicht Anwesenden via unsere Kommunikationsplattform eingebracht werden konnten. Der Austausch ist rege, unterschiedlichste Ideen, Sichtweisen und Bedürfnisse werden erwähnt und finden Beachtung. Dank aufmerksamer Moderation entwickelt sich eine Lösung, die für uns wichtige Werte achtet und innovatives Ausprobieren genauso zulässt, wie Anpassungen im Hinblick auf eine optimalere Auslastung der Räume. Es ist eine Variante, mit der alle leben können und die rasch in die Umsetzung und Erprobung gehen soll. Wir vertrauen darauf, in der Erprobung rasch Rückschlüsse zur Güte der getroffenen Massnahmen zu bekommen um jederzeit Justierungen vornehmen zu können.

Diese Treffen erstaunen mich immer wieder. Konstruktiv werden in relativ kurzer Zeit Anliegen von unterschiedlicher Wichtigkeit und Tragweite angesprochen, strukturiert diskutiert und entschieden. 

Es ist inzwischen Nachmittag und Zeit für einen etwas kürzeren Austausch als gedacht mit einem anderen Colearner. Eigentlich wollten wir uns noch die Zeit nehmen für ein Mentoring, doch wir werden in der Lounge der Kaffeebar in ein Gespräch mit zwei anderen Effianern verwickelt, in dem es um Themen geht, die eben im Treffen angesprochen worden sind. 

Wir wechseln dann in einen anderen Raum, wo wir auf die Koordinator:innen des Projekts Colearning.org treffen. Wir haben uns eine Weile nicht mehr gesehen, machen ein Update zu den unterschiedlichen Teilprojekten und klären offene Fragen. Wir haben das Gefühl, dass wir mit unserer Strategie, Themen und Fragen zur Weiterentwicklung aufzunehmen, die sich im Umfeld anbieten und offenbar einem Bedürfnis entsprechen, einen stimmigen Weg gefunden haben. Uns ist klar: Wir könnten auch einfach alle unsere Ideen raushauen und schauen, wer sich uns anschliessen mag. Doch wir spüren, dass es besser zu uns passt, wenn wir präsent und aufmerksam sind bei Entwicklungen, die sich zeigen und bei Fragen, die auftauchen, um dann um dann zu den entsprechenden Bedürfnissen Angebote zu entwickeln. So wird aus einem Colearning für Jugendliche zusehends auch ein Colearning für Erwachsene, aus dem Colearning für Jugendliche erwächst im Coworking Space Effinger und in Zusammenarbeit mit anderen Coworker:innen ein Ausbildungsort für Informatiker:innen und Mediamatiker:innen und aus der Idee, die Lern- und die Arbeitswelt in einem konkreten Projekt modellhaft zu verbinden, entwickelt sich das Lernunternehmen Pilzfarm Bern. 

So präsentiert sich für uns der Stand der Dinge. Und weil Feiern ein wichtiger Teil des gemeinsamen Wirkens ist, stossen wir in aufgeräumter Stimmung miteinander auf das Geleistete und Erbrachte an. 

Doch für heute ist noch nicht Schluss. Bald treffen wir uns noch zu einem Austausch und einem kleinen Apéro in der Hostinggruppe des 2. Obergeschoss. Wir haben im Sommer als Community den Schritt gewagt und die frei werdende Wohnung zum Coworking Space dazu genommen. Dies wäre nun noch einmal eine lange Geschichte für sich. Zum Schluss einfach noch das: Wir sind glücklich, haben wir uns in der schwierigen Zeit kurz nach der Pandemie und ohne gross gebliebene finanzielle Reserven für dieses Wagnis entschieden. 

Wir haben mit der Stadtwohnung ein Element in unsere Community hinein gebracht, die es uns vermehrt ermöglichen wird, auch am Abend in gemütlicher Atmosphäre Events zu organisieren, die Menschen aus unserer Community in den Effinger ziehen könnten, die bisher eher selten vor Ort waren.

Wir werden es sehen.