Auf Millionstel genau, bitte!

In einer meiner Chat-Gruppen ist heute morgen folgender Ausschnitt aus einem Zeitungsartikel geteilt worden. Ich war sofort hellwach - und auch ziemlich belustigt. Irgendwie.

“Corona hin oder her, in Burgdorf haben die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten ihre Schulzeit beendet. Und Corona hin oder her wurden die traditionellen Maturitätspreise vergeben: Der Rudswilpreis des Lehrerkollegiums für das beste Prüfungsergebnis geht an Jill Widmer, Kirchberg, und Anna Brünisholz, Hasle; beide haben eine Gesamtnote von 5,8461 erreicht.”

Berner Zeitung, Ausgabe vom 16. Juni 20


Ich bin mich ja so Einiges gewohnt. Immer weiter, immer mehr, immer genauer! Nach wie vor - auch nach Corona. Ich musste rasch nachfragen. Ist das jetzt ein Witz? Nein! Tja, wenn es keine Zeitungsente ist, kein Ausschnitt aus einem Satireblatt, dann ist das Realität, Emmentaler Schulrealität. Mhhh…

“Als ob die neue Realität ganz die alte sei.”

Info SRF3, 16. Juni 20


Dass der schulische Wissensstand -mindestens dann, wenn es um “etwas geht” - mit Ziffern beurteilt wird, ist wohl auch im neuen Jahrhundert nicht weg zu bringen. Zu stramm steht diese heilige Kuh gerade auch vor den Toren unserer höheren Bildungsanstalten. Auch vor dem Ausbildungshaus unserer zukünftigen LehrerInnen.

Kurzzeitig kam etwas Hoffnung auf, der an Kompetenzen, also am Können, orientierte neue Lehrplan, könne alternativen Formen der Leistungsbegutachtung auch an höheren Schul- und Ausbildungsstufen zum Durchbruch verhelfen.

Machen wir uns nichts vor. Leistungen sind erst anerkannt und gesellschaftsrelevant, wenn sie mit Noten, Punkten oder Bonis gemessen und belohnt werden. Und genial: Man kann sie sogar halbieren, die Note. Im Sinne der Messgenauigkeit und Gerechtigkeit. Und man kann noch viel mehr machen, wie Beispiel zeigt.

Jetzt hat also das GymnasiallehrerInnenkollegium gerechnet und gerechnet, und auch als man bereits bei der 4. Stelle nach dem Komma ankam, konnte noch keine alleinige Rudswilpreisträgerin oder kein alleiniger Rudswilpreisträger ausgemacht werden. Da frage ich mich schon: Warum denn nicht gleich auf Millionstel genau? Ist wohl etwas naiv von mir zu glauben, diese Zahlenklauberei gehöre heute der Vergangenheit an.

Neugierig geworden besuche ich die Website der Schule. Wie ist es zu dieser messerscharfen Leistungsbeurteilung gekommen? Was hat die JurorInnen derart überzeugt? Fehlanzeige. Da steht nur: Rudswilpreis (für das beste Prüfungsergebnis) usw. und die Namen der PreisträgerInnen. Spuren von Jugendlichen fehlen fast vollständig. Nüchtern wie die Ziffer wird das Ereignis als Ergebnis abgehandelt. Punkt.


Doch! Da dämmert mir etwas. Die Prüfung, bei der derart genau gemessen wurde, hat doch gar nicht stattgefunden. Mindestens keine Maturaprüfung. Ist so! Im ganzen Kanton Bern wurden keine Maturaprüfungen durchgeführt.

“Mit Neugier zu Wissen”

Das steht im Logo des Gymnasiums. Neugierig bin nun auch ich geworden. Und ein bisschen ketzerisch halt auch. Wissen würde ich eigentlich schon noch gerne, wie man kein Prüfungsresultat so lange im Team be- und verrechnen kann, bis aus Null Substanz eine so schöne Note wie 5,8462 entstehen kann. Und das noch zweimal! hmmm..

Und stimmt, habe es gerade gemerkt. Noch eine kleine Korrektur: Auch ich mache Fehler, laufend. Die richtige Gesamtnote ist natürlich 5,8462. Vielleicht ist das bereits jemandem aufgefallen. Entschuldigung! Und akzeptiert: Leider nur knapp genügend für mich, das heisst bis 4, meint ganz genau 3,786345. Ich arbeite daran und lerne noch!