Seit Jahrzehnten das Reisen im Kopf

Ich bin mal wieder unterwegs. Auf Reisen. Eingetaucht in ein Nomadendasein. Heute hier, morgen dort. Menschen, Landschaften, Eindrücke, Erlebnisse ziehen vorüber. Wie die Wolken am Himmel. Manchmal hellweiss und aufgetürmt, manchmal düsterschwarz und bedrohlich. Einzelne bleiben hängen, länger, andere ziehen rasch vorüber. Zeigen sich nur einen Augenblick. Was bleibt ist ein Eindruck und eine Stimmung zugleich. 

Die Luft ist warm und feucht. Auch die Haut fühlt sich entsprechend an. Und wehe, die körperliche Anstrengung geht über das Normale hinaus. Das Atmen wird zäh, der Schweiss tritt aus allen Poren. Gewöhnungsbedürftig. Die Wasserflasche immer in der Nähe. Trinken, trinken, trinken. Mit Mantras kennen wir uns ja mittlerweile aus. Nur verfangen tut es nicht immer. 

Die Farben der  Umgebung ändern sich im Wechselspiel des Sonnenlichts. Waren da gerade noch ein paar Regentropfen, die aus dem Schatten der Wolken herunter fielen, erscheint der Sand jetzt schon wieder gleissend weiss. Die Farben sind beeindruckend. Alle Schattierungen vom Grün von Bäumen und Pflanzen, alle Nuancen im Blau des Himmels und des Meeres. Und dazwischen der Strand, wie ein gelblichweisses, oder mehlartiges Band, unterbrochen nur von den mattschimmernden, grauschwarzen oder in hellen Brauntönen gefärbten Felsen. Postkartensujets auf Schritt und Tritt. 


Ich bin mal wieder geflogen. Ich weiss, ich weiss. Etwas Abbitte durch Ablass habe ich geleistet. Das schlechte Gewissen jedoch  bleibt und wird sich wohl in Zukunft in jede Reisetätigkeit schleichen. Mindestens, wenn es ums Fliegen geht. Der CO2-Ausstoss ist schon gewaltig. Klar bin ich in Europa meist mit der Bahn unterwegs. In der Schweiz sowieso. Doch wenn das Reiseziel auf fernen Kontinenten liegt, bleibt das Flugzeug das probate Verlehrsmittel. 

Ich könnte auch zu Hause bleiben. Stimmt. Oder das Unterwegs-Sein auf nahe und  kontinentale Ziele beschränken. Habe ich getan und werde es zukünftig sicher auch  wieder tun. Und besser schlafen. Doch bestimmte Gelegenheiten kommen oft nur einmal im Leben. Wer weiss schon. 

Once in a lifetime

Nachdem ich vor ein paar Jahren einen ähnlichen Törn wegen eines Todesfalls in der Familie absagen musste, wollte ich die Chance diesmal packen. Ein Abenteuer auf und unter Wasser in der Inselwelt der Seychellen. Was für eine Ausgangslage für einen Segeltrip, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Ich war wohl mit Motor- und Segelbooten und natürlich Kursschiffen auf vielen Schweizer Seen unterwegs. Auch nutzte ich Fähren auf zum Teil langen Strecken in Europa. Aber so etwas hatte ich noch nie erlebt. Was für ein Schauspiel jeden Tag! Und was für eine Kulisse!


Wenn das Wetter zu Beginn des Törns mit wenig oder gar keinem Wind ideal war, um interessante Schnorchelspots anzuvisieren und in einsamen Buchten vor Anker zu gehen, zu schwimmen und zu übernachten, war dann der zweite Teil begleitet von hohem Seegang und viel Wind bei eher regnerischem Wetter für mich schon eine ziemliche Herausforderung. Der Trip war gut vorbereitet und Skipper und Crew arbeiteten gut zusammen. Wir kochten abwechslungsweise und assen meist auf dem Schiff. Und wenn wir Glück hatten, wurde das Essen ergänzt durch einen frisch gefangenen Fisch. Bei einer Anzahl Landgängen haben wir herrliche Buchten entdeckt, Wanderungen unternommen und das Tal der Coco de mer, einer ganz speziellen und nur auf den Seychellen heimischen Kokosnuss durchstreift. Natürlich durfte auch das kreolische Buffet in einem wunderschönen Restaurant nicht fehlen. Alles in allem, viele faszinierende Eindrücke von einer bunten, afrikanischen Welt über und unter Wasser. 

Ich bin ja nicht so der Schnorchler. Aber was ich bei einigen Schnorchelgängen an Korallen und Fischen in allen Farben und Grössen entdecken durfte, war schlicht genial. Sogar Meeresschildkröten tummelten sich immer wieder in unserer Nähe und Delfine begleiteten uns. So liess sich übersehen, dass sich auch mal ein Hai in meiner Nähe zeigte. Sie blieben jedoch auf Distanz. Zum Glück. 

Das Reisen im Kopf

Ich habe seit Jahrzehnten das Reisen im Kopf. Wie das Reiseunternehmen Globetrotter, das die Jubiläumsausgabe des Reisemagazins auch so betitelt. 

Ein Mitreisender hat es mir bei seiner Rückreise überlassen. Und die Lektüre hat mich zu den nun aufgeschriebenen Gedanken inspiriert hat. Gegründet in den frühen Achzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, hat Globetrotter schon meine früheste Reise rund um die Welt entscheidend beeinflusst. 

Lediglich das Reisen mit Interrail in Europa war bis dahin eine Variante, sich als selbstorganisiert Reisender, als Tramper, nur mit dem Rucksack am Rücken, zu einigermassen günstigen Bedingungen durch Europa zu bewegen. Übrigens noch ein anderes Jubiläum, wie ich gerade gesehen habe. Interrail gibt es seit 50 Jahren. Ich werde alt. 

Globetrotter wurde gross mit den ersten günstigen Flügen, die man sich über das Reisebüro auf dem grauen Markt ergattern konnte. So halb legal - darum nicht Schwarzmarkt. Eine Anzahl Strecken, bestimmte Routen, gewisse Airlines. So liess man sich neben Singapure Airlines und Air France auch auf Aeroflot und China Airlines ein. Und die Reiserei in jeden entfernten Winkel der Welt hat begonnen. Auch viele meiner Freund:innen und Bekannten waren zu dieser Zeit länger unterwegs. Angesagt waren Indien, Nepal, Südostasien und natürlich Australien und Neuseeland. Einige dieser Gebiete habe ich ebenfalls bereist. Als Backpacker, mit wenig Gepäck, schmalem Budget und grossen Zielen. Es waren wichtige und prägende Momente in meinem Leben. Sie haben mir die Augen geöffnet für Vieles. Sie haben mir schon früh gezeigt, in welch privilegierten Verhältnissen wir in der Schweiz leben. Und wie wichtig es darum ist und wäre, dass wir uns nicht nur in humanitärer Form für Menschen einsetzen, denen es weniger gut geht. Und für Menschenrechte. Oft sahen die Menschen die Schweiz als leuchtendes Beispiel für Demokratie und einem Leben in Freiheit. Wie betrüblich, haben die letzten Jahrzehnte aus der Schweiz eine Insel der Abschottung und des Profits gemacht. Grosse internationale Unternehmen wie Banken, Nestle und Glencore definieren heute das Image der Schweiz. Nicht mehr das Rote Kreuz. Nicht mehr die Demokratie, die auch bei uns längst zu einer Meritokratie verkommen ist. Stolz macht das nicht mehr, es ist eher beschämend. 

Sich Zeit zum Denken schenken

Weil mir die Reisen Zeit zum Denken, zum Nachdenken schenken, entwickeln sich parallel zum realen Unterwegssein oft innere Reisen. Sie führen mich mal zu meinem Innersten oder lassen mich Wege beleuchten, wie sich Dinge weiterentwickeln könnten. Stets spüre ich mich darin bestärkt, dass fremde Umgebungen und das Bewältigen von neuen Situationen Impuls gebend  sein können für grundlegende Veränderungen. 

Wenn ich Reisen tue wie diese, fühle ich mich eher als Entdecker denn als Tourist. Es mag ein Trugschluss sein. Und doch. Resorts sind mir ein Gräuel, Yachthäfen auch. Die piekfeinen Restaurants brauche ich nicht. Die aufgereihten Liegestühle am Strand auch nicht. Das Tages- und Abendprogramm gestalte ich gerne selber. Dazu brauche ich weder Animation noch jemanden, der oder die mir mit einem „Follow me“ Schild die Spur zeigt. 

Unterwegs sein ist für mich ein Stück Freiheit. Darum macht alleine reisen so Sinn. Entscheidungen sind abhängig von Situationen, Bedingungen - und mir. 

So können sich Pläne ändern. Nicht zwingend, aber manchmal in Sekundenschnelle. Das liebe ich. Das mag egoistisch klingen. Ich empfinde es eher als selbstbestimmt. 

Es geht jedoch auch anders. Wie ich - zum Glück - gerade erfahren durfte. Die zwei Wochen auf dem Katamaran in einer kleinen Gruppe waren mal wieder ein solches Abenteuer. Etliches haben wir im Voraus geklärt, anderes musste laufend ausgehandelt werden. Es funktionierte gut. Wir hatten in etwa die gleichen Ideen und Wünsche. Und die Kommunikation hat gepasst. So gab es die intensiven Gesprächsmomente und eher stillere Phasen. Und nie bestand der Anspruch, dass sich alle immer und überall eingeben müssen. Mir bleibt dieser Segeltörn auf jeden Fall auch als soziale Erfahrung in guter Erinnerung. 


Zum Schluss meiner Reise im Kopf und den Gedanken, die spontan ergeben haben, noch einmal ein paar Erkenntnisse zur aktuellen Reise und dem Aspekt der Veränderung. Und des Verlernens und des Dazulernens. Lernen meint ja in seiner ursprünglichen und natürlichen Form, sich laufend einzulassen auf neue Situationen und Probleme zu erkennen und zu lösen. 

Im Moment gilt: Schaue zuerst rechts, wenn du die Strasse überqueren willst. Fahre links, auch mit dem Bike. Ein Verlernprozess, der rasch Resultate zeigt und mir wieder mal bewusst macht, welch Gewohnheitstier unser Gehirn doch ist. So bewege ich mich jeden Tag neu gegen die Routine. Und es wird immer besser. Bis ich  mal wieder gedankenlos losfahre. Oder mit einer engen Kurve auf der Strasse wenden will. Wie ungeschickt ich mich gerade anstelle. Ich mache diesen Turn sonst nur rechts herum. Der Strassengraben kam mir gerade ungemütlich nahe. 

So ergeben sich laufend Learnings oder Erkenntnisse, die mir in der Situation (oder halt erst in der Reflexion) wieder bewusst werden. „Behalte immer einen Rest Wasser in der Flasche“ oder „plane für jede Verrichtung oder Abklärung genügend Zeit ein“ und „gutes, passendes Schuhwerk lässt dich sicher und entspannt gehen“.

Heute ist mir aufgefallen, dass mir der Bancomatcode nicht mehr geläufig ist. Und ein Esel, wem auch die extra arrangierte Brücke nicht mehr weiterhelfen will. Nö, weder ein Zuviel an Sonne noch Alkohol. Einfach weit weg. Weit weit weg.


Die Effekte der Fotos sind das Werk der App Insta Toon.